Zum Frühlingsfest der Ostara

Die Zeit scheint nun gekommen, dass wir uns unserer Schöpferkraft, Macht und Verantwortung für uns und die ganze Menschheitsfamilie stellen dürfen, vielleicht müssen. Ich will hier nicht Druck ausüben, jedoch die Zeit ist reif, dass wir uns nun als Menschen ins Neue-Mensch-Sein begeben.

Meine Vision ist es, dass wir uns auf ein Miteinander einlassen, wo wir uns wieder gegenseitig inspirieren und helfen uns zu erkennen, unser innerstes Selbstverständnis zu erinnern und ihm eine neue Menschen-Gestalt zu geben.

Ob dabei ein spiritueller, philosophischer, kultureller, freudvoller, selbstermächtigender … oder was auch immer … Herzenskreis entsteht, sei an anderer Stelle herauszufinden, gemeinsam mit euch, die  sich dazu berufen fühlen. Wichtig wäre es nur, einen Rahmen vorzubereiten, der uns bei unserem Neubeginn zunächst Schutz und Orientierung gibt.

Heute zum vorchristlichen, will sagen altkulturellen Frühlingsfest der Ostara, jener Lebensbotin mit ihren Osterhasen, möchte ich aus ferner Zeit erzählen. Hier aus „Rückkehr nach Utopia“, meinem Mysterien-Roman, der eine Inspiration für das Neue-Mensch-Sein sein mag.

Kapitel 6

Festmahl der Ostara

Auf dem Weg zu den Häusern hatte Ihwar plötzlich inne gehalten, weil sie das starke Gefühl empfand, eine verbotene Schwelle zu überschreiten. Ein Schwindelgefühl hatte sich ihrer ermächtigt und sie war beinahe wieder gestürzt. Hilfreich hatte ihr die Veleda die Hand gereicht und sie freundlich ermutigt, weiter zu gehen.

     „Du wirst dich daran gewöhnen, habe keine Sorge, lass dir etwas Zeit. Besonders in einer Phase wie dieser stehen die Kräfte der Erde und das Licht des Mondes in einer machtvollen Zwiesprache; sie sind so intensiv, dass du dich erst darauf einstellen musst. Jedoch wirst du lernen, dich immer besser damit zu verbinden, wirst dich auf diese besonderen Momente vorbereiten und recht bald auch in dir in Harmonie mit ihnen sein.“

Dann, nach ein paar wenigen Schritten, wird es plötzlich heller; sie waren aus dem düsteren Wald herausgetreten. Nun stehen sie auf einer großen Lichtung, in dessen Mitte ein riesiger Tisch, der aus Steinplatten zu einem großen Rund zusammengefügt ist, steht.

     Fasziniert sieht Ihwar: „Es ist ein festlich geschmückter Altar.“ Um das kleine Feuer, das mitten auf der Tafel in einer Feuerschale brennt, sind die Opfergaben angeordnet; köstlichste Speisen, dazwischen Blumen, die gelb leuchten, und mit Ochsenblut gefärbte dunkelrote Eier. Nur ein Fetzen der Erinnerung schwebt an ihr vorbei, zu wage, um seine Botschaft zu entschlüsseln, aber Ihwar weiß, hier geschieht etwas, was ganz selbstverständlich zu ihrem Leben gehört.   

      „Sei unser Gast, du musst essen und trinken, dich von deiner langen Reise stärken. Wir feiern heute den Frühlingsbeginn, komm, nimm mit uns Frauen am Festmahl zu Ehren der Ostara teil.“

     Erst jetzt nimmt Ihwar die Frauen wahr, die um den Steintisch stehen und unbeweglich still auf die Ankunft der Veleda gewartet hatten.

     Segnend streckt diese die Arme zum Himmel und ihre Worte erfüllen mit klarer Stimme den Platz. „Ich, die Veleda, am Felsen der Drachenschlange, bin auch in diesem Jahr dazu berufen für unsere Gemeinschaft zu sprechen. Wir bringen dir diese Gaben dar, aus Dankbarkeit, dass du uns in deiner Gestalt den Frühling zurückbringst. Wir danken dir, dass du uns nicht vergessen hast und nun, nach der Starre des Winters, wieder alles wachsen lässt. 

     Wir bringen dir das Leben dar im Symbol des Eies, das wir in das Blut des Lebens eingetaucht haben. Bitte nimm du unser Opfer an, durchdringe es mit deinem Sein und bestärke uns so in unserem Geist, lass auch uns wieder von neuem wachsen. Schenke uns Kraft und Gesundheit, unterstütze uns im Tun dessen, wofür wir in diesem Leben bestimmt sind. Lass uns dein Wesen spüren und hilf uns. Ostara, wir danken dir.“

     Nachdem die Veleda auf einem thronartigen Stuhl mit einer verzierten Rückenlehne Platz genommen hat, der, wie auch die anderen Sitzmöglichkeiten, mit weichen Fellen belegt ist, fordert sie Ihwar auf, sich neben sie zu setzen. „Komm, lass es dir wohlergehen.“

     Die anderen Frauen lächeln sie zunickend an. „Das ist Ihwar, die fortan bei uns sein wird. Seid ihr liebevolle Schwestern und helft ihr, wo immer ihr könnt.“

     Eine schöne, junge Frau reicht der Veleda eine Schale mit Wasser und diese taucht in einer reinigenden Geste ihre Hände ein. Nach und nach geht sie von einer Frau zur anderen und alle tun es ihr gleich. Als Ihwar an der Reihe ist, sieht sie, dass in dem Wasser getrocknete Blütenblätter schwimmen, die einen betörenden Duft verströmen. Vorsichtig taucht nun auch sie ihre Hände ein, bewegt sie in sanften Wellenbewegungen in der warmen Flüssigkeit und spürt sogleich eine angenehm pulsierende Energie, die sie durchströmt. Als sie ihre Hände aus der Schale hebt, fühlt sie sich am ganzen Körper gereinigt, fast wie nach einem Bad im klaren Sommersee.

     „Es ist das Wasser aus Ostaras Quelle, mit dem wir den letzten Zyklus von Jera beschließen. Morgen, bei Sonnenaufgang, werden wir wieder dort sein, um das neue Wasser des Frühlings in Empfang zu nehmen. Wir werden es in der Kammer am Felsen der Großen Mutter aufbewahren und für ein weiteres Jahr bei den Riten des Lebens verwenden.

     Damit werden wir die Fruchtbarkeit segnen, von Mann und Frau, Pflanzen und Tieren, auf dem ganzen Erdenrund. Und besonders dem jungen Leben werden wir huldigen und alle werdenden Mütter und ihre ungeborenen Kinder damit weihen, um ihnen mit Ostaras Beistand eine glückliche Geburt zu bescheren.“

     Tröstend lächelt die Veleda Ihwar zu und greift nach ihrer Hand. Ihwar hatte nicht einmal bemerkt, dass ihr die Tränen übers Gesicht fließen, so furchtbar war dieser unsägliche Schmerz, der wieder ihr verzweifeltes Herz erfasst hatte.

     „Sei nicht traurig, manchmal scheint ein Schmerz nur als Schmerz, obwohl er gar nicht ist. Auch wenn dich eine Ahnung leiden lässt, wisch deine Tränen fort; habe Geduld mit dir, vertraue. Auch dieses Geheimnis wird sich dir offenbaren, wenn die rechte Zeit im Rad von Jera gekommen ist; und sei dir gewiss, dies ist nur eine der Prüfungen, die irgendwann ihren Schrecken verlieren.“

     Wieder hatte die Veleda geantwortet, obwohl kein Wort über Ihwars Lippen gekommen war; und, obwohl es ihrer ganzen Kraft bedarf, überwindet sie sich und wendet sich dem Jetzt zu. 

     Nun spürt Ihwar ihren brennenden Durst und das stechende Gefühl des Hungers, dass sich in ihrem Innern festgebissen hat. „Wie viele Tage habe ich nichts mehr gegessen? Wie weit bin ich gelaufen?“ Sie kann sich nicht erinnern und beginnt zu frösteln, obwohl überall um sie herum Feuer angezündet sind, zittert sie. Endlich beginnt das Mahl und sie ist froh, auch weil sie von ihren suchenden Gedanken abgelenkt wird.

     Gierig trinkt sie von dem heißen Tee aus frischen Birkenblättern. Er ist mit einem Gemisch aus Kräutern und Wurzeln gewürzt, die sie nicht kennt. Sofort beruhigt sich ihr Inneres und ein wärmendes Wohlgefühl breitet sich in ihr aus. 

     Dann kostet sie von allem, was ihr geboten wird, nur eine Kleinigkeit, denn sie will von all den herrlichen Speisen essen. Von dem Salat aus den ersten Frühlingsknospen, der mit Kräutern und kleinen Blüten bestreut ist, von den gefüllten Pasteten, der kräftigen Suppe mit gekeimten Körnern, dem geschmorten Ochsenfleisch und dem noch warmen Brot, das wie ein Zopf aus golden glänzendem Haar anmutet.

Unbemerkt hatte die Nacht Einzug gehalten und nun steht die leuchtende Kugel des Mondes mitten über ihnen, wie eine riesige Laterne bescheint sie den Platz.

     Die Feuer mit ihren goldenen Flammen waren längst erloschen und der kühle Silberschein, der jetzt vom Himmel fließt, wirft gespenstische Schatten in den Raum. 

Eine jede der Frauen hatte besonnen, schweigend gegessen und getrunken und nur die zarten Klänge einer Baumharfe hatten das Szenario sanft umhüllt. 

     „Die Melodie ist nicht von Menschenhand gemacht“, denkt Ihwar verwundert, „da folgt der Klang des Spiels etwas anderem. Er ist wie die leichte Brise des Windes, oder sind es die Strahlen des Mondes, die dieses verführerische Lied der Leichtigkeit spielen?“

Jetzt, wo alle satt sind, stimmt die murmelnde Unterhaltung der Frauen in das wundersame Lied ein und erweckt den Eindruck, dass sie mit ihren geflüsterten Worten den friedlichen Weg des Mondes begleiten.

     Ihwars Blick wandert von einer Frau zur anderen und sie genießt diese Gemeinschaft; schon jetzt fühlt sie sich dazugehörig und schaut glücklich zum Himmel. „Danke, dass ich hier sein kann; aber jetzt möchte ich mich ausruhen.“

     Und wieder, als wenn die Veleda ihre Gedanken gehört hätte, erhebt sie sich und mit einer Geste des Dankes löst sie die Tafel auf.

     „Schlaft gut, meine Schwestern, möge Ostara in dieser heiligen Nacht ihre schützenden Hände über euch halten.“

Herzlichst EliMa, zur Nacht auf den 20.03., der Frühlings-Tag- und Nacht-Gleiche 2022